Den planvollen Aufbau des Organons belegt bereits die Inhaltsübersicht. Auch einzelne Abschnitte sind klar gegliedert, wie Abbildung 25 beispielhaft zeigt. Eine klare Struktur prägt auch die Argumente: Zu Beginn stehen theoretische Schlüsse, die dann mit Erkenntnissen aus der Erfahrung verknüpft werden, um Anweisungen zum Handeln abzuleiten.
Diese Strukturiertheit spiegelt Hahnemanns systematisches Vorgehen wider. Sie ist Folge und zugleich Zeichen seines Bemühens um Methodik.
Die Systematik des Organons liegt im Original leider keineswegs offen zu Tage. Dies liegt zum einen daran, dass sich die inhaltliche Gliederung nicht in der Gestaltung wiederfindet. Zum anderen wird auch durch die Sprache nur auf die einschneidenderen Themenwechsel besonders hingewiesen. Schließlich sorgt der Sprachstil insgesamt für Unübersichtlichkeit zumindest für heutige Leser, die mit ihm nicht vertraut sind.
Dennoch: Das Organon ist im Großen und Ganzen stimmiger und logischer aufgebaut, als vielleicht zuweilen erkannt wird. Um dies zu sehen, ist es hilfreich, Hahnemanns Argumentationen und Argumentationsversuchen nachzuspüren, aus denen sich ein Teil des Aufbaus bereits zwingend ergibt. Ein kurzer Abriss des inhaltlichen Gerüstes soll dies andeuten.
Teil I: Grundlegung | Teil II: Durchführung | |||||
Theoretische Herleitung | Erkenntnis der Erkrankungen | |||||
Empirische Grundlagen | Kenntnis der Heilmittel (Arzneien) | |||||
Erklärungsversuch | Anwendung der Arzneien | |||||
|
Hahnemann beginnt mit der Feststellung, was die Bestimmung des Arztes ist, nämlich die nachhaltige Beseitigung der Erkrankungen auf möglichst schnelle und schonende Weise, wobei sein Vorgehen durch deutliche, nachvollziehbare Gründe geleitet werden muss. Hieraus ergeben sich die Hauptaufgaben des Arztes:
Der zweite Themenbereich befasst sich mit den empirischen Erkenntnissen, die den vorigen Schluss rechtfertigen. Sie werden zunächst in dem als Erfahrungssatz deklarierten homöopathischen Naturheilgesetz zusammmengefasst. Konkret sind folgende Aussagen empirisch zu belegen, worum sich Hahnemann in der Folge (in etwas anderer Reihenfolge) bemüht:
Den Grundlagenteil schließt Hahnemann mit einem Erklärungsmodell. Die Erfahrungen über die Reaktionen des Organismus/der Lebenskraft auf äußere Einflüsse führen Hahnemann dazu, diese Abläufe im Prinzip als Verhalten eines gedämpft schwingenden Systems zu beschreiben. Damit und mit der Vorstellung, dass eine (stärkere) homöopathische Arznei eine (schwächere) ähnliche Erkrankung auslöscht, die Wirkung einer unhomöopathischen Arznei sich aber mit der unähnlichen Erkrankung überlagert, versucht er die Wirksamkeit des homöopathischen und die Unwirksamkeit des antipathischen Verfahrens zu erklären.
Der zweite Teil des Organons beschäftigt sich mit der praktischen Bewältigung der Hauptaufgaben des Arztes in der o. g. Reihenfolge.
Nach einer Systematisierung der Erkrankungen wird ihre praktische Erforschung behandelt. Gemäß den theoretischen Vorüberlegungen sind dazu gerade deren Symptomengesamtheiten festzustellen. Hierfür gibt Hahnemann recht detaillierte Vorschriften an.
Die Kenntnis der Arzneien besteht, ebenfalls nach den theoretischen Vorüberlegungen, in der Kenntnis der Symptomengesamtheiten, die sie an Gesunden hervorrufen. Als Grundlage stellt Hahnemann zunächst allgemeine Aussagen über die Arzneiwirkung auf. Im Anschluss erläutert er Handlungsanweisungen für die durchzuführenden Arzneiprüfungen.
Es bleibt noch, die Wahl der spezifischen Arznei zu einer Erkrankung sowie
ihre Herstellung, Dosierung und Wiederholung zu klären.
Zunächst widmet sich Hahnemann der Wahl der Arznei - die Regel dazu
ist ja bereits aufgestellt - und den dabei evtl. bestehenden Problemen
sowie den Besonderheiten, die bei gewissen Erkrankungen zu berücksichtigen sind.
Es hat durchaus seine Berechtigung, sich anschließend zunächst mit den
Folgeverordnungen zu beschäftigen, wie Hahnemann dies tut, da es sich hierbei
einerseits um die Beurteilung der getroffenen Arzneiwahl und andererseits um eine
eventuelle Wiederholung der Arzneiwahl handelt. Damit ist man dann aber beim Ablauf
der Behandlung, wozu auch die dabei anzuwendende Diät und Lebensordnung
zu rechnen sind. Vor der Dosierungsfrage muss dann noch die Herstellung der
Arzneien behandelt werden, da diese die Darreichungsformen bestimmt.
Die Wahl der Arznei ist nach der Ähnlichkeitsregel zu treffen. Die erste Frage, die sich dabei stellt und die Hahnemann angeht, ist die nach der Bewertung der Symptome bei dieser Wahl. - Um die Richtigkeit der Arzneiwahl beurteilen zu können, muss man auch wissen, wie die Heilung nach Anwendung der spezifischen (richtigen) Arznei verläuft. Hier kommt die homöopathische Verschlimmerung ins Spiel. - Schließlich sind die Probleme zu betrachten, die bei der Arzneiwahl auftreten können: fehlende Arzneikenntnis und geringe Zahl an Krankheitszeichen. Hahnemann gibt an, wie man damit umgehen soll.
Für gewisse Erkrankungsformen sieht Hahnemann die Notwendigkeit, bei ihrer Untersuchung bzw. Behandlung bestimmte Dinge zu beachten, und zwar bei
Nach getätigter Arzneiwahl drängen sich neben den Fragen nach der
zweckmäßigen Zubereitung und Dosierung der Arznei (die später behandelt
werden) sofort weitere Fragen auf: Wie beurteilt man den Heilungsverlauf?
Wie reagiert man auf den Heilungsverlauf? Das heißt: Wann wiederholt man das Mittel?
Wann wechselt man zu einer anderen Arznei? Ferner: Wie hat man seinen Lebensablauf
einzurichten, damit die Arznei gut wirken kann und die Heilung möglichst beschleunigt
wird? Hahnemann beantwortet diese Fragen in leicht abweichender Reihenfolge.
[Im Hinblick auf das
Textgefüge wirkt der im Zusammenhang mit der Folgeverordnung notwendige Vorgriff
auf das Potenzierungsverfahren etwas unglücklich. Eventuell wäre ein Vorziehen der Abschnitte
über die Herstellung und die Dosierung der Arzneien von Vorteil gewesen.]
Fast schon am Ende des Organons widmet sich Hahnemann der Dynamisierung, dem Herstellungsverfahren für die in der Homöopathie verwendeten Arzneipotenzen. Die konkrete Durchführung dieser Methode ist bis ins Detail angegeben. Dieses Verfahren leitet Hahnemann weder her, noch versucht er die Wirksamkeit der so gewonnenen Arzneipotenzen zu erklären. Es ist ausschließlich als Ergebnis seiner Experimente anzusehen!
Folgende Fragen sind noch offen: In welchen Kombinationen dürfen die Arzneien angewendet werden? In welcher Dosierung sind die Arzneipotenzen anzuwenden? Auf welche Art sind sie einzunehmen? - Die Behandlung der Dosierungsfrage ist ein gutes Beispiel für die klare Struktur in Hahnemannns Argumentationen. Er nähert sich dieser Frage zuerst theoretisch an und begründet die Schädlichkeit zu großer Gaben. Aus der Erfahrung entnimmt er dann die Heilsamkeit kleinster Gaben wohl dynamisierter, homöopathischer Arzneien. Aus beidem zusammen leitet er seine Dosierungsvorschrift ab.